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Erziehungskompetenz Visualisierung als buntes Bild

Erziehungskompetenz stärken: Wie Eltern lernen, sicher zu erziehen

Erziehungskompetenz besteht aus zwei wesentlichen Grundlagen: Selbst-Verständnis und Menschen-Kenntnis.

Ich erkläre wie Eltern ihre Elternkompetenz stärken können, indem sie Selbst-Reflexion lernen und grundlegendes Erziehungs-Wissen anwenden.

Selbst-Reflexion ist zentral für deine Erziehungsfähigkeiten. Das heisst: Bewusstes Nachdenken über dein eigenes Handeln in vier Stufen:

  1. Was tat ich?
  2. Warum tat ich das?
  3. Was werde ich anders machen?
  4. Was bedeutet mein tun für andere Menschen?

Ich stelle 2 Möglichkeiten vor, wie du Selbst-Reflexion lernen kannst:

  • Werte- und Entwicklungsquadrat
  • Freies Schreiben

Erziehungskompetenz lernen

Heute ist die Welt der Eltern-Ratgeber unübersichtlich. Manchmal sogar widersprüchlich.

Mein letzter Blogbeitrag Erziehungsziele heute: 80 Jahre Elternratgeber im Wandel (1945–2025) erkläre ich, was sich im Laufe der Zeit verändert hat und was geblieben ist.

Viele Erziehungs-Tipps haben eines gemeinsam: Sie vergessen die Basics.

Bevor Eltern Erziehen-Können, brauchen sie 2 Basics:

  • Selbst-Verständnis
  • Menschen-Kenntnis
Grafik Erziehungskompetenz bedingt Selbstverständnis und Menschenkenntnis

Was gehört zur Elternkompetenz?

Dank Selbst-Verständnis und Menschen-Kenntnis wenden wir unser Erziehungs-Wissen flexibel auf die konkrete Situation an.

Erziehungskompetenz heisst: Ich fühle mich sicher und gehe flexibel auf mein Kind ein. «Ich wirke ehrlich.»

Selbst-Verständnis

Durch Selbst-Reflexion lernen wir uns selbst zu verstehen. Selbst-Reflexion heisst: Ich denke darüber nach, was ich tue und sage. «Ich verstehe mich.»

Selbst-Reflexion machen nicht alle Menschen einfach so. Wir können es lernen.

Menschen-Kenntnis

Hier meine ich Grundlagen-Wissen über Empathie, Kommunikation, Verhalten und andere wichtige Fähigkeiten im Umgang mit Menschen.

Menschen-Kenntnis heisst: Ich passe mein Tun und Sprechen an die Person mir gegenüber an. «Ich verstehe dich.»

Menschen-Kenntnis haben nicht alle Menschen einfach so. Wir können es lernen.

Selbst-Reflexion ist zentral für die Erziehungskompetenz

In den Eltern-Ratgebern wird gutes und wichtiges Wissen vermittelt. Schwierig ist, dieses Wissen in den Familien-Alltag zu bringen.

Beispiel aus dem Familien-Alltag:

Unser 4-jähriger Sohn will morgens nicht in den Kindergarten. Er weint und klammert sich an uns. Wir haben gelesen: „Bleib ruhig und verständnisvoll.“ Aber wir müssen zur Arbeit. Der Zeitdruck steigt. Wie setzen wir jetzt das Wissen um? Bleiben wir geduldig? Setzen wir eine Grenze? Lenken wir ab?

Wie können wir in einer Situation mit unserem Kind das richtige Wissen hervor-nehmen und in unser Tun und Sprechen einbringen?

Welcher Tipp ist in dieser Situation der richtige und wichtige?

Die Selbst-Reflexion hat hierfür eine zentrale Bedeutung.

Was ist Selbst-Reflexion?

Der Psychologe Siegfried Greif erklärt: Selbst-Reflexion bedeutet:

Wir denken bewusst über uns nach. Wir überlegen, wie wir wirklich sind und wie wir gerne sein möchten. Wir denken darüber nach, was wir tun und wie wir handeln.

Selbst-Reflexion bringt uns etwas, wenn wir daraus lernen. Das heisst: Wir überlegen uns, was wir beim nächsten Mal anders machen können.

Woran sehe ich, ob das, was ich tat und sagte gut oder falsch war?

Dafür brauchen wir Erziehungs-Wissen. Erkenntnisse aus der Forschung und der Wissenschaft geben uns Anhaltspunkte.

Weder haushohe Stapel an Büchern noch Details sind hier wichtig. Was wir besonders brauchen, ist Grundlagen-Wissen.

Selbst-Reflexion und grundlegendes Erziehungs-Wissen zusammen helfen uns in der Komplexität, Unsicherheit und Einmaligkeit der Erziehung.

Damit meine ich:

Komplexität:
Erziehung ist nicht einfach. Viele Dinge spielen gleichzeitig eine Rolle – die Gefühle des Kindes, unsere eigenen Gefühle, die Situation, die Tageszeit, was vorher passiert ist. Alles hängt zusammen.

Unsicherheit:
Wir können nicht immer sicher wissen, was richtig ist. Was heute funktioniert, klappt morgen vielleicht nicht mehr. Jedes Kind ist anders. Jede Situation ist neu.

Einmaligkeit:
Jedes Kind ist einzigartig. Jede Familie ist einzigartig. Was bei anderen funktioniert, passt vielleicht nicht zu uns. Wir müssen unseren eigenen Weg finden.

Mein Erziehungs-Blog ist kein Ratgeber, der sagt, was richtig oder falsch ist. Es geht mir auch nicht darum, Tipps zu geben.

Ich will wissenschaftliches Wissen einfach erklären, damit es uns hilft, eine eigene Meinung zu bilden. Damit wir lernen, Erziehungs-Wissen auf uns, unsere Kinder und unsere Familien anzuwenden.

In meinem Blog-Beitrag Wie Familien eigene Antworten auf Erziehungsfragen finden erkläre ich ausführlich: Wie du eigene Antworten auf deine Erziehungsfragen findest.

4 Stufen der Selbst-Reflexion

Hierzu werden verschiedene Diskussionen in der Wissenschaft geführt. Anna Elke Kirsch fasst diese in ihrer Dissertation (S. 41-43) in 4 Stufen zusammen:

1. Stufe: Beschreibung der eigenen Handlung

Die einfache Beschreibung unserer eigenen Handlung ist die niedrigste Stufe der Selbst-Reflexion.

2. Stufe: Begründung meiner Handlung

Hier machen wir uns erste Gedanken, zu dem, was wir taten und sagten. Wir ergänzen unsere Beschreibung durch Gründe dafür, warum wir das taten und sagten.

3. Stufe: Andere Handlungen überlegen

Wir machen uns Gedanken darüber: Was hätten wir anders tun oder sagen können, damit die Situation besser ausgegangen wäre?

4. Stufe: Kritisches Nachdenken

Wir überlegen uns, was unsere Handlung für andere bedeutet. Welche Wirkung hat das, was wir tun und sagen für unser Kind?

Grafik 4 Stufen der Selbstreflexion

Praxis-Beispiel: Die 4 Stufen in Aktion

Schauen wir uns an, wie wir die 4 Stufen der Selbst-Reflexion konkret anwenden können:

Die Situation: Unsere 7-jährige Tochter hat ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Es ist 19 Uhr, gleich Zeit fürs Bett. Sie sitzt vor dem Fernseher. Wir werden laut: «Jetzt reicht’s! Fernseher aus! Sofort Hausaufgaben machen!» Unsere Tochter weint und sagt: «Du bist gemein!»

1. Stufe: Beschreibung

Was ist passiert?

Wir beschreiben die Situation sachlich. Ohne Bewertung:

  • Unsere Tochter sass um 19 Uhr vor dem Fernseher
  • Die Hausaufgaben waren noch nicht gemacht
  • Wir haben laut gesprochen und den Fernseher ausgeschaltet
  • Wir haben angeordnet, dass sie sofort die Hausaufgaben machen soll
  • Unsere Tochter hat geweint

2. Stufe: Begründung

Warum habe ich so gehandelt?

Wir suchen nach Gründen für unser Verhalten:

  • Wir waren gestresst, weil es schon spät war
  • Wir hatten Sorge, dass unsere Tochter zu wenig Schlaf bekommt
  • Wir waren frustriert, weil wir sie schon zweimal an die Hausaufgaben erinnert hatten
  • Wir wollten, dass sie Verantwortung für ihre Aufgaben übernimmt
  • Wir fühlten uns vielleicht auch selbst schuldig, weil wir nicht früher eingegriffen haben

3. Stufe: Alternativen überlegen

Was hätten wir anders machen können?

Wir überlegen uns andere Möglichkeiten:

  • Wir hätten ruhig bleiben und uns neben sie setzen können
  • Wir hätten fragen können:
    «Was brauchst du, um jetzt mit den Hausaufgaben zu starten?»
  • Wir hätten gemeinsam einen Plan für morgen machen können (früher erinnern, feste Hausaufgaben-Zeit)
  • Wir hätten den Fernseher leise ausmachen und kurz warten können,
    bis sie selbst reagiert
  • Wir hätten akzeptieren können, dass die Hausaufgaben heute ausfallen und morgen die Konsequenz in der Schule kommt

4. Stufe: Kritisches Nachdenken

Welche Wirkung hatte mein Verhalten?

Wir denken über die Auswirkungen nach:

  • Unsere Tochter hat sich nicht verstanden gefühlt
  • Die Situation eskalierte, statt sich zu entspannen
  • Der Abend endete mit negativen Gefühlen auf beiden Seiten
  • Unsere Tochter lernte möglicherweise:
    «Wenn ich nicht rechtzeitig reagiere, werden meine Eltern laut.»
  • Sie lernte nicht, selbst Verantwortung zu übernehmen,
    sondern reagierte auf unseren Druck
  • Unser Verhalten zeigte Ungeduld.
    Das wollen ihr eigentlich vermitteln wollen.

Was nehmen wir für die Zukunft mit?

Das nächste Mal könnten wir früher eingreifen, bevor wir gestresst sind. Wir könnten klare Strukturen schaffen (z. B. Hausaufgaben vor dem Fernseher).

Und wir könnten im Moment selbst innehalten und uns fragen: «Was braucht diese Situation jetzt wirklich?»

Wie lerne ich Selbst-Reflexion?

Hilfsmittel 1: Das Werte- und Entwicklungsquadrat

(Christina Buschle et al., 2025, S. 101-102)

In der Kinder-Erziehung fragen wir uns manchmal:
Was ist gut und was ist schlecht?

Beispiel:
Ich hatte Streit mit meiner 10-jährigen Tochter. Sie wurde laut und frech. «So redest du nicht mit deinem Vater», schrie ich sie an. Ich hielt sie am Oberarm fest. Meine Tochter begann zu weinen: «Du tust mir weh!»

Später erzählte ich die Situation meiner Frau. Ich war der Meinung, das war schon richtig so in dem Moment. Aber meine Frau sagte: „Ich finde, du hast schlecht reagiert.“

Es gibt viele solche Gut-Schlecht-Situationen:

  • Vertrauen vs. Vorsicht
  • Freiheit vs. Struktur
  • Nachgeben vs. Konsequenz
  • Selbstständigkeit vs. Begleitung

Das Werte- und Entwicklungsquadrat hilft uns, um über solche Gegensätze nachzudenken.

Beispiel: Vertrauen vs. Vorsicht

Grafik Werte- und Entwicklungsquadrat

Die Grafik zeigt: Es stehen sich hier zwei Haltungen gegenüber: Vertrauen und Vorsicht. Beide Haltungen können jedoch „entwertende Übertreibungen“ annehmen:

  • Zu viel Vertrauen führt zu Vertrauensseligkeit oder Gleichgültigkeit
  • Zu viel Vorsicht führt zu Kontrolle oder Misstrauen

Vertrauen hilft uns, nicht in Kontrolle abzurutschen.
Vorsicht hilft uns, nicht in die Vertrauensseligkeit abzurutschen.

Beispiel: Freiheit vs. Struktur

Zwei Haltungen stehen sich gegenüber: Freiheit und Struktur.
Beide Haltungen können „entwertende Übertreibungen“ annehmen:

  • Zu viel Freiheit führt zu Orientierungslosigkeit oder Chaos
  • Zu viel Struktur führt zu Starrheit oder Kontrolle

Freiheit hilft uns, nicht in Starrheit abzurutschen.
Struktur hilft uns, nicht in Orientierungslosigkeit abzurutschen.

Beispiel: Nachgeben vs. Konsequenz

Zwei Haltungen stehen sich gegenüber: Nachgeben und Konsequenz.
Beide Haltungen können „entwertende Übertreibungen“ annehmen:

  • Zu viel Nachgeben führt zu Beliebigkeit oder Grenzenlosigkeit
  • Zu viel Konsequenz führt zu Härte oder Unnachgiebigkeit

Nachgeben hilft uns, nicht in Härte abzurutschen.
Konsequenz hilft uns, nicht in Beliebigkeit abzurutschen.

Beispiel: Selbstständigkeit vs. Begleitung

Zwei Haltungen stehen sich gegenüber: Selbstständigkeit und Begleitung. Beide Haltungen können „entwertende Übertreibungen“ annehmen:

  • Zu viel Selbstständigkeit führt zu Überforderung oder Vernachlässigung
  • Zu viel Begleitung führt zu Überbehütung oder Abhängigkeit

Selbstständigkeit hilft uns, nicht in Überbehütung abzurutschen.
Begleitung hilft uns, nicht in Überforderung abzurutschen.

Konkretes Beispiel:
Unser 8-jähriger Sohn möchte allein zur Schule gehen. Wir stehen vor der Frage: Lassen wir ihn gehen (Selbstständigkeit fördern) oder begleiten wir ihn weiter (Sicherheit bieten)?

Eine mögliche Lösung liegt in der Balance:

  • Wir überlegen gemeinsam: Welche Gefahren gibt es auf dem Weg?
  • Wir üben den Weg mehrmals gemeinsam
  • Wir vereinbaren klare Regeln (Handyerreichbarkeit, feste Route)
  • Wir lassen ihn zunächst teilweise allein gehen (z.B. die letzten 200 Meter)
  • Wir überfordern ihn nicht, vernachlässigen aber auch nicht sein Bedürfnis nach Selbstständigkeit

So vermeiden wir beide Extreme: Weder lassen wir ihn zu früh völlig allein (Überforderung), noch halten wir ihn zu lange fest (Überbehütung).

Hilfsmittel 2: Freies Schreiben

Für viele von uns gelingt Selbst-Reflexion besonders leicht im Schreiben. In meinem Schreib-Blog zeige ich, wie wir täglich schreiben können. Erstaunlich leicht.

Ich schrieb zwei ausführliche Blog-Beiträge über das freie Schreiben. Beides sind sehr detailliert und haben eine Anleitung zum Nachmachen:

Free Writing – Ewig im Schreibfluss
Intuitives Schreiben – Anleitung + 20 Schreib-Prompts

In diesem Video siehst du, wie ich Free Writing mache:

Der Klick auf das Bild führt dich auf meinen YouTube-Kanal.

Fazit

Erziehungskompetenz stärken bedeutet: Wir lernen, uns selbst besser zu verstehen und andere Menschen besser einzuschätzen.

Was sind die wichtigsten Erziehungsfähigkeiten? Sie entwickeln sich durch Selbst-Reflexion – indem wir über unser Handeln nachdenken, Gründe suchen, Alternativen überlegen und die Wirkung auf unsere Kinder bedenken.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat hilft uns, Gegensätze in der Erziehung zu verstehen und Extreme zu vermeiden. So finden wir unseren eigenen Weg zwischen Vertrauen und Vorsicht, Freiheit und Struktur, Selbstständigkeit und Begleitung.

Elternkompetenz wächst nicht durch Patentrezepte, sondern durch bewusstes Nachdenken über unsere Familien und unsere Kinder.

Literatur

Buschle, Christina; Heßdörfer, Florian; Krämer, Svenja; Thier, Karin: Pädagogische Professionalität durch selbstreflexive Methoden in der Online-Lehre – In: Magazin erwachsenenbildung.at (2025) 54, S. 98-107.

Greif, Siegfried (2008): Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Göttingen [u.a.]: Hogrefe.


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